Agilität, Selbstorganisation… und was kommt dann?

Der Hype um Agilität und Selbstorganisation ist vorbei. Die Konzepte sind in vielen Unternehmen verbrannt, weil mit der Einführung die versprochenen Vorteile für die Menschen nicht spürbar wurden. Statt Schnelligkeit und Flexibilität entstand häufig Chaos und Orientierungslosigkeit. Einige Unternehmen sind nach der Einführung von selbstorganisierten Strukturen und der damit einhergehenden Abschaffung von Führung von einer Welle der Unzufriedenheit überrascht worden und mussten umfassend zurückrudern.

Dennoch sind die Grundideen von Agilität und Selbstorganisation heute wichtiger denn je. Unternehmen müssen schnell reaktions- und anpassungsfähig sein, um in einem hochdynamischen Umfeld erfolgreich zu sein. Dafür braucht es Menschen und Teams, die selbst Verantwortung übernehmen und Entscheidungen im Sinne des Unternehmens treffen können. Die Vorstellung, dass einzelne Führungskräfte allein die volle Verantwortung für die Teameffektivität tragen können, ist längst überholt. Vielmehr ist es sinnvoll, dass jene Personen, die für eine bestimmte Aufgabe am besten geeignet sind, temporär eine führende Rolle übernehmen. Ein höheres Maß an Eigenverantwortung kann darüber hinaus auch zu mehr Engagement und Identifikation mit dem Unternehmen führen, was sich wiederum positiv auf die Leistungsbereitschaft auswirkt

Weshalb scheitern dann so viele Einführungen von Agilität und Selbstorganisation, obwohl sie doch genau das liefern, was Unternehmen in der heutigen Zeit so dringend brauchen?

Konsultiert man die die Theorie der Erfolgsfaktoren zukunftsfähiger Organisationen, so findet man mindestens vier Gründe:

  • Viele Fans der Agilität und Selbstorganisation unterschätzen die Bedeutung von Sicherheit, Klarheit und Orientierung als essenzielle Basis für Anpassungsfähigkeit und Flexibilität.
  • Menschen geben anderen Menschen persönliches Vertrauen und Sicherheit, die durch Prozesse, Systeme und Strukturen nicht annähernd ersetzt werden können.
  • In der westlichen Welt überschätzen viele die Bedeutung individueller Freiheit und unterschätzen die Bedeutung kollektiver Freiheit, also von wirksamer gemeinsamer Ausrichtung für eine fruchtbare Entwicklung.
  • Menschen wollen den großen Herausforderungen unserer Zeit nicht „selbstorganisiert“, allein oder sogar alleingelassen begegnen, sondern in einer starken Gemeinschaft, der sie vertrauen können, die sie unterstützt und in der sie gemeinsam gestalten können.

Zukunftsfähige Organisationen brauchen daher eine gute Mischung von maximalem Sinn und Orientierung, maximalem Vertrauen und maximaler Agilität, die in Balance zueinanderstehen. Übertreibt man einen dieser Pole und vergisst einen der anderen, dann kippt das ausgewogene System: aus Orientierung wird Starrheit, aus Vertrauen wird Phlegma oder aus Agilität wird Chaos (siehe Abb 1). Damit verliert die Organisation ihre Dynamik, Flexibilität und Zukunftsfähigkeit.

Gelingt es jedoch alle drei Pole zu stärken, dann entsteht die Möglichkeit in geteilter Verantwortung gemeinsam Entwicklung zu gestalten.

Wie macht man das genau?

Agilität und Selbstorganisation können dann erfolgreich eingeführt werden, wenn Unternehmen gezielt zwischen Bereichen unterscheiden, in denen Stabilität notwendig ist, und solchen, in denen Flexibilität und Eigenverantwortung Mehrwert schaffen. Agilität sollte immer konsequent am Kundennutzen ausgerichtet und regelmäßig auf ihre Wirksamkeit überprüft werden. Je nach Aufgabenprofil variiert das Maß an sinnvoller Agilität: Wiederholbare Prozesse benötigen Stabilität, während dynamische Aufgaben Freiräume und Anpassungsfähigkeit erfordern. Planungs- und Entscheidungszyklen müssen flexibel an die Veränderungsgeschwindigkeit des Umfelds angepasst werden.

Eine erfolgreiche Transformation gelingt zudem nur mit einem durchdachten Change Management, das auf klare Kommunikation, gezielte Einbindung des mittleren Managements und eine stimmige Change Story setzt. Geteilte Verantwortung bedeutet nicht Führungsverzicht: Klare Führungsrollen und ein modernes Führungsverständnis, das Eigenverantwortung fördert und Orientierung bietet, sind zentrale Erfolgsfaktoren. Agilität und Selbstorganisation brauchen damit sowohl strukturgebende als auch entwicklungsorientierte Führung – angepasst an den Reifegrad der Organisation und der Mitarbeitenden.

Unternehmen, die Agilität erfolgreich implementieren, schaffen klare Rahmenbedingungen für Selbstorganisation und Verantwortungsübernahme, fördern eine Kultur des Vertrauens und der gemeinsamen Verantwortung und ermöglichen flexible, aber dennoch strukturierte Entscheidungsprozesse. Zukunftsfähige Organisationen setzen daher nicht nur auf Agilität, sondern auf eine gut abgestimmte, geteilte Verantwortung, die Stabilität mit Flexibilität verbindet – und damit langfristig nachhaltige Entwicklung ermöglicht.